Chile ist nach Norwegen der zweitgrößte Lachsproduzent der Welt. Lohndumping und Raubbau an der Natur machen chilenischen Fisch für den weltweiten Export günstig. Ein Besuch auf der Insel Chiloé, wo Männer fischen, Frauen in den maquiladoras Lachs verarbeiten und in den Zuchtanlagen massiv Antibiotika eingesetzt werden. von nils brock, Chiloé
Wenn Kapitän Juan Carlos Marilaf früher zur Arbeit fuhr, hatte er es nicht weit. An den Küsten seiner Heimatinsel Chiloé im Süden Chiles wimmelte es nur so vor Fischen. Heute muss der Skipper hunderte Seemeilen bis ins Südpolarmeer zurücklegen, um seine Netze zu füllen, zuweilen ist er mit seiner Mannschaft einen ganzen Monat auf der stürmischen See unterwegs. Nur noch selten hat Marilaf deshalb Zeit für einen Schwatz am Anlegesteg des Städtchens Ancud, im Norden der Insel. Während die Crew ohne Unterlass Eis in die Kühlkammer unter Deck schaufelt, checkt der Kapitän den Proviant und verflucht seinen Job. »Ich glaube, dass der traditionelle Fischfang ausstirbt. Die Meere sind überfischt und die südlichen Zonen sind die letzten, die uns noch bleiben«, sagt er und spuckt ins schaumige Wasser des Hafenbeckens: »Die Zukunft hier gehört doch längst der Lachszucht.«
Nie wurde auf der Welt so viel Lachs gegessen wie heute. Und längst ist das »Mastschwein der Meere« keine teure Delikatesse mehr, sondern wird massenhaft in so genannten Aquafarmen gezüchtet. War Norwegen lange Zeit die Nation, die am meisten Fisch exportierte, so kommen heute fast 40 Prozent der weltweiten Zuchtlachsproduktion aus dem südchilenischen Patagonien. Vor allem in den Buchten der Insel Chiloé tummeln sich Millionen von Lachsen in schwimmenden Käfigen.
Der Lachsboom habe das Leben auf der fünftgrößten Insel Südamerikas verändert, erzählt der Historiker Luis Armando bei einem Besuch im Dorfmuseum von Ancud. Hier hat der glühende Sozialist nicht nur historische Arbeitsgeräte und kleine Schätze des regionalen Kunsthandwerks gehortet. Hier erzählt er auch gern die »wahre Geschichte der chilenischen Lachsindustrie«, wie er sie nennt. »Ab 1974, kurz nach dem Putsch von Augusto Pinochet, öffnete das Militärregime den internationalen Lachszüchtern in Chile alle Türen. Um Investoren ins Land zu locken, überließ man ihnen ohne jegliche Kompensationen unsere Meere und Strände«, echauffiert sich Luis Armando. »Die maritime Massentierhaltung verschmutzt stark unsere Gewässer. Aber die Regierung in Santiago hat sich noch nie sonderlich für unsere Meinung interessiert.«
Dass neben internationalen Konzernen wie Marine Harvest und Pescanova inzwischen auch viele chilenische Züchter vor der Küste der Insel geankert haben und lokale Bootsbauer und Subunternehmer gut und gern an den schmackhaften Raubfischen verdienen, sind für Luis Armando Nebensächlichkeiten. Ginge es nach ihm, wäre Chiloé längst ein unabhängiger Inselstaat und die Bewohner lebten vom solidarischen Kartoffelanbau, von Kunststickereien, Fischfang und ein bisschen Tourismus.
Doch gerade die Jugendlichen der Region haben wenig Lust, in einem Living History Museum zu wohnen, und ziehen die Mindestlöhne von monatlich 180 Euro auf den Lachsfarmen und in den Fischfabriken dem traditionellen Tagwerk vor. Ein harter und nicht ungefährlicher Job, denn auch wenn die Wellen noch so hoch schlagen, müssen die schwimmenden Zuchtkäfige täglich gewartet und versorgt werden. Pro Monat ertrinkt oder verunglückt ein Arbeiter tödlich, jeder dritte Beschäftigte hat, statistisch gesehen, einen Arbeitsunfall, berichtete die Nachrichtenagentur IPS im vergangenen Jahr. »Und das alles, um am Ende des Monats Klamotten zu kaufen oder in die Discos in Puerto Montt auf dem Festland zu fahren«, wettert Luis Armando, der gerade ein Kulturfestival vorbereitet und hofft, dass diesmal ein paar jüngere Gesichter auftauchen werden.
Des Besuchs von Lili, einer Marktfrau aus der Inselhauptstadt Castro, kann er sich jedenfalls sicher sein. Lili liebt die Dorffeste auf Chiloé. Mit dem Verkauf von Algen und getrockneten Meeresfrüchten allein kann sich die Mittvierzigerin außerdem nur selten Restaurant- oder Kinobesuche leisten, anders als ihre jüngere Nichte, die am Fließband Lachsfilets einschweißt.
Doch Lili kennt auch die Geschichten der Arbeiterinnen aus den Fischfabriken: Streng geregelte Pinkelpausen, handfeste Einschüchterungsmethoden von Vorgesetzten, fristlose Kündigungen schwangerer Frauen. »Ich habe eine Angehörige, die bereits in zwei Fischfabriken gearbeitet hat«, erzählt sie. »Man schuftet 14 Stunden am Tag unter unerträglichen Bedingungen. Die Arbeiterinnen sind kaum organisiert, machen sich nicht bewusst, dass sie ausgebeutet werden. Überstunden werden grundsätzlich nicht bezahlt. Die Unternehmen hier sind eine Schande.«
Doch gerade Lohndumping und Raubbau an der Natur machen chilenischen Lachs für die Käufer so unwiderstehlich günstig. Die europäischen Verbraucher, die jährlich knapp 50 000 Tonnen chilenischen Lachs verschlingen, wissen meist nicht, dass der Fisch in einer patagonischen Fisch-Maquiladora – der lateinamerikanischen Variante eines Sweatshops – entgrätet wurde. Und ebenso wenig ist bekannt, dass die Aquafarmen bereits heute das Ökosystem stark geschädigt haben.
Lachse sind keine Vegetarier. Um ein Kilo an Gewicht zuzulegen, müssen die Räuber ungefähr das Zehnfache an Beute verschlingen. In den Aufzuchtsanlagen übernehmen ferngesteuerte Fütterungskanonen diesen Job. Regelmäßig regnet es gepressten Fisch. Diese organischen Abfälle, Lachskot und auch der massive Einsatz von Chemikalien und Antibiotika verschmutzen das Meer.
Der Berufstaucher Jorge Rojas, der täglich die Gesundheit der Tiere für ein großes Lachszuchtunternehmen überprüft, sieht jedoch kaum Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. »Bei der industriellen Lachszucht ist es unvermeidlich, Medikamente einzusetzen, schon allein, um typische Krankheiten der Massentierhaltung in den Griff zu bekommen«, meint er und erklärt sein nüchternes Statement mit ein paar Zahlen: »100 000 Lachse werden in 20 Meter hohen Rundkäfigen mit einem Durchmesser von 30 Metern gehalten. Viele Tiere auf engstem Raum. Dieser Platzmangel verursacht natürlich Krankheiten, nicht nur in Chile.«
Was die Medikamentendosis angeht, die den Fischen verabreicht wird, herrschen keine eindeutigen Maßstäbe. Darf in Norwegen für die Aufzucht einer Tonne Zuchtlachs offiziell nicht mehr als ein Gramm Antibiotika eingesetzt werden, so verfüttert man in Chile satte 2,8 Kilo. Zwar unterzeichneten der chilenische Unternehmerverband Salmon Chile und die Regierung im Jahr 2002 ein »Abkommen für saubere Produktion«, aber außer ein paar werbewirksamen Strandreinigungen ist wenig geschehen. »Das chilenische Umwelt- und Gesundheitsamt hat überhaupt keine Kontrolle über den Produktionsprozess der Lachsindustrie«, erzählt der Meeresbiologe Héctor Kol im Interview einer mexikanischen Internetzeitung. »Und die Lachsindustrie hat keine Skrupel, alle möglichen Chemikalien einzusetzen, um die Krankheiten in den Griff zu kriegen.«
Die Fischepidemie ISA und pestizidresistente Sandflöhe treiben die Lachszüchter inzwischen zu immer neuen Experimenten mit Chemikalien. Dennoch hat die Sterblichkeit der Tiere bei der Aufzucht inzwischen fast 25 Prozent erreicht. Erstmals werden die Aquafarmer in diesem Jahr ihre Wachstumsraten verfehlen. Zudem ist auf Chiloé inzwischen auch kaum mehr Platz für neue Zuchtanlagen. »Die einzige Möglichkeit für die Lachsindustrie, das gegenwärtige Fischsterben in den Griff zu bekommen, besteht darin, neue Zuchtgebiete im extremen Süden Chiles, in Aysén, zu errichten«, sagt der Biologe. Aber auch das wäre nur eine kurzfristige Lösung, die Krankheiten würden schnell wieder auftauchen. Und für das unberührte Ökosystem der Region wäre es das sichere Ende.
Die chilenische Präsidentin Michèle Bachelet hat im Juni vergangenen Jahres dennoch eine Gesetzesinitiative eingebracht, um der Lachsindustrie den Weg nach Aysén zu ebnen. Denn immerhin ist Lachs nach Kupfer das wichtigste Exportgut des Landes. Nur dem Widerstand einiger Parlamentarier und den Protesten örtlicher Fischer ist es zu verdanken, dass die Fischlaiche bisher noch nicht umgesiedelt wurden.
In Chiloé indes hat der Berufstaucher Jorge Rojas längst ein lukratives Jobangebot für den Aufbau neuer Aquafarmen erhalten. Noch ist er unsicher, ober er es annehmen wird. Juan Carlos Marilaf dagegen denkt darüber nach, seine Kapitänsmütze an den Nagel zu hängen. Er hat ein paar Ersparnisse, seine Kinder hat er zum Studieren in die USA geschickt. »Aber uns ungebildeten Fischern bleiben nicht viele Alternativen hier auf der Insel. Vielleicht lässt sich mit Tourismus ein bisschen Geld machen. In einem der großen Lachsunternehmen will jedenfalls keiner von uns enden«, sagt er entschieden. »Wir sind es gewohnt, in Freiheit zu arbeiten, und wir wollen frei bleiben.«
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Nummer 01 vom 03. Januar 2008
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