Tierversuche für Chemikalien – das REACH-Programm

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EU plant abertausende zusätzliche Tierversuche für Chemikalien

Die EU möchte die KonsumentenInnen in trügerischer Sicherheit wiegen, indem sie tausende Chemikalien, die schon seit 20 Jahren in Konsum- und Industriegütern verwendet werden, registrieren und auf ihre Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt testen will.
Das bedeutet für abertausend Tiere wie Mäuse, Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Fische, Hunde und Affen, unvorstellbares Leid – den sicheren qualvollen Vergiftungstod.

Die Schattenseiten der EU-Chemikalienpolitik

Aufgrund zunehmender Krankheiten von Allergien und bestimmten Krebsarten etwa, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit bestimmten Chemikalien auftreten, sieht die Europäische Kommission dringenden Handlungsbedarf und hat Gegenstrategien ausgearbeitet. Am 27.2.2001 hat sie im “Weißbuch” die “Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik” vorgelegt. (Weißbücher enthalten Vorschläge für ein Tätigwerden der Gemeinschaft in einem bestimmten Bereich.) Federführend dabei war die EU-Umweltkommissarin Margot Wallström. Die Vorschläge zielen vorrangig darauf ab, “sowohl für die gegenwärtige als auch für zukünftige Generationen ein hohes Schutzniveau für menschliche Gesundheit und Umwelt zu gewährleisten”.

Prüfung von Altchemikalien

Eine zentrale Rolle nimmt hierbei der Plan ein, alle “Alt”-Chemikalien zu überprüfen, da man über deren gefährlichen Eigenschaften für Mensch und Umwelt und die Verwendungszwecke wenig bis gar nichts weiß.
Bei den Chemikalien, worunter man alle Stoffe und Zubereitungen versteht, unterscheidet man zwischen “chemischen Altstoffen”, das sind alle chemische Stoffe, die im September 1981 bereits im Umlauf waren, und “neue Stoffen”, die nach diesem Datum auf den Markt gebracht wurden.

Innerhalb der EU gibt es etwa 2.700 neue Stoffe, die hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit für die menschliche Gesundheit und Umwelt schon bewertet wurden, bevor sie in Mengen über 10 kg auf den Markt kamen (70 % davon wurden als gefährlich ermittelt!).
Für die Altstoffe hat es keine derartigen Bewertungen gegeben, so dass man über diese Chemikalien, die mehr als 99 % der Gesamtmenge sämtlicher auf dem Markt befindlichen Stoffe darstellen, wenig über die gefährlichen Eigenschaften für Mensch und Umwelt und Verwendungszwecke weiß.

Im Jahr 1981 waren insgesamt 100.106 Stoffe gemeldet. Es wird geschätzt, dass noch 30.000 dieser Stoffe in Mengen von mehr als einer Tonne jährlich in Verkehr gebracht werden.
Nun schlägt die Kommission bei der Systematisierung dieser Altchemikalien ein schrittweises Vorgehen vor, um die “Altlasten” in den Griff zu bekommen. Eine Übergangszeit von 11 Jahren wird veranschlagt.

Der Stufenplan

Die 30.000 alten chemischen Stoffe werden einem Stufenplan unterzogen:

1. Stufe: Erfassung
Auf dieser Stufe werden Informationen hinsichtlich Produktionsmengen, Eigenschaften und Verwendung über die etwa 30.000 chemischen Stoffe, die in Mengen von über 1 Tonne jährlich pro Unternehmen hergestellt bzw. importiert werden, gesammelt und erfasst.
Man schätzt, dass für ungefähr 80 % dieser Stoffe diese Erfassung genügt, also keine weiteren Untersuchungen – auch keine Tierversuche – mehr notwendig sein werden.

2. Stufe: Bewertung
Die Informationen von den Stoffen, die in Mengen von über 100 Tonnen hergestellt werden, und von verdächtigen Stoffen werden einer Bewertung unterzogen. Diese erfolgt durch die Behörden. Detailliertere Untersuchungen, also auch tausende Tierversuche, werden die Folge sein. Davon betroffen werden voraussichtlich ca. 5.000 Stoffe (15 %) sein.

3. Stufe: Zulassungsverfahren
Stoffe, “die in besonderen Maße zur Besorgnis Anlass geben”, weil sie bestimmte besonders gefährliche, nämlich krebserzeugende, das Erbgut verändernde, fortpflanzungshemmende Eigenschaften aufweisen, müssen einem Zulassungsverfahren unterworfen werden. Dabei handelt es sich um etwa 1.400 Stoffe (5 %) der registrierten Stoffe. In dieser Gruppe ist ebenfalls mit tausenden Tierversuchen zu rechnen, die immens belastend für die Tiere sind, da sie systematisch vergiftet werden.

Der vorgeschriebene Umfang an Untersuchungen – also auch die Anzahl der Tierversuche – zur Feststellung der gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes wird von der Menge und der Exposition (=”Veranlagung”) eines in den Verkehr gebrachten Stoffes abhängig gemacht. Doch man kann davon ausgehen, dass ab einer Menge von 10 Tonnen die Prüfung prinzipiell mittels Tierversuchen erfolgt.

Laut Zeitstufenplan sollen zuerst die gefährlicheren und die in größeren Mengen in Umlauf gebrachten Stoffe geprüft werden: Innerhalb der nächsten fünf Jahren die Stoffe, ” deren bekannte bzw. vermutete gefährliche Eigenschaften Anlass zur Sorge geben”.
Bis 2005 sollen die Stoffe, die über 1.000 t, bis 2008 die Stoffe, die über 100 t und bis 2012 die Stoffe, die über 1 t in den Verkehr gebracht werden, registriert werden.

Unternehmen bewerten ihre Daten selber – der Manipulation mittels Tierversuchen wird Tür und Tor geöffnet

Die Kommission schlägt vor, dass die Unternehmen selber die Chemikaliendaten erfassen, auswerten und bewerten sollen und sicherstellen, dass nur Chemikalien hergestellt bzw. in Verkehr gebracht werden, die für die vorgesehenen Verwendungszwecke sicher sind. Ebenso werden Importeure verpflichtet, die Sicherheit ihrer Chemikalien zu bewerten. Auch der nachgeschaltete Anwender soll angemessene Risikobeurteilungen für Stoffe und Zubereitungen durchführen. Der Ersatz von gefährlichen Chemikalien durch weniger gefährliche soll gefördert werden.

Inwieweit auf die Bewertung der Daten durch die Unternehmen selbst Verlass ist, sei dahingestellt. Zweifel sind angebracht: Da es nicht im Interesse eines Unternehmens sein wird, die Vermarktung einer Chemikalie mit Auflagen und Einschränkungen versehen zu bekommen, ist zu befürchten, dass keine objektive Bewertung erfolgt und Tierversuche, die keiner wissenschaftlichen Methode standhalten, vorrangig und manipulativ – je nachdem, welches Ergebnis der Unternehmer braucht – eingesetzt werden.

Halbherzige Forderung der EU-Kommission nach Verringerung von Tierversuchen

Im Strategiepapier wird die vorrangige Anwendung von Methoden ohne Tierversuche und die Förderung der Entwicklung neuer Prüfmethoden ohne Versuchstiere eigens hervorgehoben. Auch werden Maßnahmen zur Vermeidung von doppelten Tierversuchen und zur Verringerung der Anzahl und des Leidens der Tiere ergriffen. Diese Vorschläge sind positiv zu bewerten und signalisieren sicherlich einen Fortschritt und eine Sensibilisierung der EU in Richtung eines verbesserten Tierschutzes.
Leider handelt es sich hier nur um halbherzige Vorschläge, die sich kurz- und mittelfristig kaum in der Praxis niederschlagen werden.
Denn tatsächlich erfolgt die Gefährlichkeitsprüfung eines Stoffes nach Prüfmethoden der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die zu einem ganz großen Teil auf Tierversuche basieren. Besonders häufig sind hier die sehr belastenden Toxizitätstests (= Giftigkeitstests) vorgeschrieben.
Bei dem heftig umstrittenen, vor allem auch aufgrund der damit verbundenen unvorstellbaren Qualen der Versuchstiere, akuten Toxizitätstest etwa, wird den Versuchstieren die Substanz über den Nahrungsweg als Futterbeimischung, aber auch durch Schlundsonden, bzw. durch Einatmung, bzw. über die Haut – gespritzt in Muskeln, Venen oder in die Bauchhöhle – verabreicht.
Hierzu wird die LD-50 (letale Dosis) bestimmt, die Dosis der einmalig verabreichten Substanz, an der 50% der Versuchstiere sterben. Die Vergiftungserscheinungen wie Muskelzittern, Krämpfe, Lähmungen, starker Speichelfluss, Durchfall, Besinnungslosigkeit etc. werden registriert, um schließlich an den toten Tieren die Stärke der Schädigungen festzustellen.
Auf diese Art und Weise und in vielen weiteren, wohl abgewandelten, Testreihen, in denen die Tiere jedoch ebenso schlimme Schmerzen erleiden und dem unausweichlichen, langsamen Vergiftungstod ausgesetzt werden, sollen bei der Prüfung von Altchemikalien tausende von Tieren vergiftet werden.

Auch sind die Vorschläge zur Einschränkung von Tierversuchen mit Skepsis zu betrachten, wenn mehr oder minder im gleichen Atemzug der Tierversuch als förderungswürdig propagiert wird, indem auf Seite 16 des Strategiepapieres “besondere Forschungsanstrengungen zur Entwicklung und Validierung von In-vivo-Prüfmethoden” gefordert werden. Denn in vivo bedeutet am lebenden Objekt und meint schlicht Tierversuche.

Tierversuchsergebnisse sind nicht auf den Menschen übertragbar: Asbest – ein typisches Fallbeispiel

Auch hinterfragt die Kommission nicht die Übertragbarkeit der Tierversuchsergebnisse aus dem Labor auf den Menschen und die Umwelt, obwohl es hierfür viele tragische Beispiele aus allen Bereichen gibt.
Aus dem Chemikalienbereich hat unter anderen der Asbest-Fall traurige Berühmtheit erlangt und liefert ein Beispiel dafür, dass Tierversuche überhaupt nichts zur Risikoabschätzung beitragen können und somit keinen ausreichenden Schutz für die Gesundheit des Menschen und der Umwelt darstellen:

“Die ersten Berichte über einen Zusammenhang zwischen Asbest und Lungenkrebs kamen in den 30er Jahren auf, nachdem man Menschen untersucht hatte, die an einer Asbestose gestorben waren. Aber Versuche, bei Tieren diesen Krebs zu erzeugen, schlugen stets fehl, und trotz weiteren Beweisen, etwa anhand von Arbeitern, die dem Stoff ausgesetzt waren, wurde die krebserzeugende Wirkung von Asbest bis in den 60er Jahren angezweifelt. …
Auch im Falle von Benzol, einer wichtigen Industriechemikalie, die beim Menschen eindeutig Leukämie verursacht, konnten 14 unabhängige Tierversuchsreihen seit 1932 nicht nachweisen, dass Benzol Krebs erzeugt. Erst in den späten 80er Jahren waren Wissenschaftler imstande, diese Erkrankung bei Tieren herbeizuführen.
Arsen, Naphthylamin und Russ sind weitere Beispiele dafür, dass erst Jahrzehnte vergehen mussten, bis Tierversuchs-Wissenschaftler imstande waren, klinische Ergebnisse tierexperimentell zu bestätigen.” (Dr. Robert Sharpe: Eine kritische Beurteilung des Tierversuches. Die Notwendigkeit einer Reform.)

Aufgrund der Nichtübertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen und die Umwelt

  • fordern wir die Kommission auf, zum Schutze der Gesundheit des Menschen und der Umwelt auf Tierversuche bei der Testung der Altchemikalien völlig zu verzichten.
    Hingegen sollen alle existierenden Daten und Informationen verwertet, alle vorhandenen tierversuchsfreien Verfahren und Methoden kombiniert eingesetzt werden und insbesondere epidemiologische Studien (Ereignisse, die in örtlicher und zeitlicher Begrenzung gehäuft auftreten) bevorzugt werden. Da die betreffenden Altchemikalien – gemessen am Stichdatum September 1981 – nun schon seit mindestens 20 Jahren im Umlauf sind und bis zum Abschluss der Altchemikalienprüfung die Chemikalie über 30 Jahre im Verkehr sein wird, muss der Wissens- und Erfahrungsstand für eine Beurteilung ausreichend sein.
  • Verdächtige Chemikalien sind aus dem Verkehr zu ziehen und durch sichere zu ersetzen.

Wir müssen den wahnwitzigen Plan, die Altchemikalien an Tieren zu testen, was tausenden Tieren den qualvollen Vergiftungstod bringt, unbedingt mit allen demokratischen Mitteln verhindern.

Protest an:
Frau Margot Wallström
Umweltkommissarin
Europäische Kommission
200, rue de la Loi
B-1049 Bruxelles
Belgien

Text:
Sehr geehrte Frau Kommissarin,
wir begrüßen die Bestrebungen der EU-Kommission, die Gesundheit des Menschen sowie die Umwelt vor möglichen Gefahren durch in Verkehr gebrachte Chemikalien zu schützen – dargelegt im Weißbuch “Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik”.
Wir lehnen aber die Prüfung der Gefährlichkeit von Altchemikalien an Tieren aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen ab. Tierversuchsergebnisse lassen sich nicht auf den Menschen übertragen und stellen somit keinen ausreichenden Schutz für die Gesundheit des Menschen und der Umwelt dar. Um nur ein Beispiel zu nennen: Dreißig Jahre brauchte es, um die krebserzeugende Wirkung von Asbest bei Tieren künstlich im Labor zu erzeugen!
Weiters fordern wir die Streichung der Forderung nach “besondere(n) Forschungsanstrengungen zur Entwicklung und Validierung von in-vivo-Prüfmethoden” auf Seite 16, dritte Zeile, des Strategiepapieres.

Siehe dazu auch unsere Presseinformation: Europaweiter Protest gegen Botox-Tierversuche. Schweizer Konzern Nestlé im Zentrum der Kritik.

Nachtrag vom 28.01.2002
Eine vom britischen Umweltministerium in Auftrag gegebene Studie bestätigt die Befürchtungen der Tierversuchsgegner: Wenn, wie von der Europäischen Kommission geplant, sämtliche Alt-Chemikalien auf ihre Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt nach den herkömmlichen Prüfmethoden – d.h. durch Tierversuche – bewertet werden, kostet das insgesamt 12,8 Millionen Tieren das Leben.
Gerda Matias, Initiatorin des Tierschutz-Volksbegehrens und Präsidentin des “Internationalen Bundes der Tierversuchsgegner” (IBT): “Mäuse, Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Hunde und Affen sterben unter unvorstellbaren Qualen und Schmerzen einen grausamen, langsamen Vergiftungstod”.

Romana Rathmanner, Mitglied der im Wissenschaftsministerium angesiedelten Kommission gemäß § 13 Tierversuchsgesetz: “Ich hoffe, dass die EU-Kommission aufgrund der erschütternden Zahlen, welche die Studie ans Tageslicht bringt, nun einlenkt und die Bedenken der Tierschützer ernst nimmt.
Der IBT hat die EU-Kommission aufgefordert, bei der Testung der Alt-Chemikalien völlig auf Tierversuche zu verzichten. Schließlich lassen sich Tierversuchsergebnisse nicht auf den Menschen übertragen, wie etwa der Asbest-Fall gezeigt hat.

Im jüngst erschienenen Weissbuch hat die EU-Kommission ihre “Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik” vorgelegt. In ihr nimmt der Plan, sämtliche Alt-Chemikalien – das waren zum Stichdatum 1981 exakt 100.106 Stoffe – zu überprüfen, eine zentrale Rolle ein.

Nachtrag vom 09.01.2005
Die Umsetzung des derzeitigen Kommissions-Entwurfes der EU-Chemikalienverordnung wird in den nächsten 15 Jahren für die Prüfung von Alt- und Neustoffen 45 Millionen Versuchstieren das Leben kosten.

Dies hat eine Berechnung des deutschen Bundesinstitutes für Risikobewertung ergeben. Selbst wenn alle vorhandenen tierversuchfreien Methoden und noch neu zu entwickelnde tierversuchsfreie Methoden angewendet werden, werden im selben Zeitraum noch immer 7,5 Millionen Tiere vergiftet werden. Eine allein aus ethischer Sicht unhaltbare Situation.

Seit 2001 wird an einer Neuordnung des Chemikalienrechts gearbeitet und Ende 2003 hat die Kommission einen neues Konzept vorgestellt, das kurz REACH genannt wird (Registration = Meldung; Evaluation = Bewertung; Authorisation = Zulassung; CH = Chemikalien) und zu begrüßen ist, da der Schutz der Umwelt und der Gesundheit des Menschen das Ziel ist. Dabei sollen alle etwa 30.000 Altstoffe, über die es angeblich kaum Daten geben soll, neu bewertet werden. Doch keinesfalls hinzunehmen ist, dass hierfür Tiere leiden und sterben sollen, zumal es genügend tierversuchsfreie Methoden gibt.

Nachtrag vom 12.04.2005
EU-Kommission lenkt ein
Die EU-Kommission hat einen Verordnungsentwurf zur Chemikalienrichtlinie vorgelegt, kurz REACH genannt, der im Detail heftig umstritten ist, unter anderem deshalb, weil durch die Umsetzung 45 Millionen Versuchstiere in den kommenden 15 Jahren für die Prüfung der alten und neuen Chemikalien systematisch vergiftet würden.
Dieser Entwurf wird nun im Umweltausschuss des EU-Parlaments behandelt, wo es am 19. Jänner 2005 ein öffentliches Hearing mit wichtigen ReferentInnen, darunter auch Günter Verheugen, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für Industrie und Unternehmen, gegeben hat. Am 3. Februar 2005 wurde Verheugen abermals in den Umweltausschuss geladen, wo er in seiner Rede wieder zu dem Thema Chemikalienrichtlinie Stellung bezogen hat und den (zusätzlichen) Tierversuchen eine eindeutige Absage erteilt hat. Zitat von Verheugen aus dem Hearing: “Ich möchte mit großem Nachdruck darauf hinweisen, dass ich jedenfalls alles tun werde, was ich kann, um zusätzliche Tierversuche zu vermeiden. Für mich ist das die wahrscheinlich gefährlichste Schwäche des vorliegenden Entwurfs … Ich halte es jedenfalls auch aus ethischen Gründen nicht für vertretbar, eine Gesetzgebung zu verabschieden, bei der es um den Schutz von Gesundheit und Umwelt geht, wenn das mit dem Verbrauch von Millionen von Versuchstieren erkauft wird.”
Zitat von Verheugen aus der Rede: “Ein weiterer zentraler Punkt ist die Vermeidung von Tierversuchen, die ich nachdrücklich unterstütze … Ich bin der Auffassung, dass wir eine Strategie zur Entwicklung von alternativen Testmethoden und zur Stärkung ihrer Akzeptanz brauchen.”
Verheugen kommt in seiner Rede (SPEECH/05/72) abschließend noch einmal auf das Thema Tierversuche zu sprechen und kündigt noch für 2005 eine internationale wissenschaftliche Konferenz in Brüssel an, bei der es vor allem um Alternativmethoden zu den Tierversuchen gehen soll.

Wir hoffen sehr, dass diesen erfreulichen Worten – die als die aktuelle Haltung der EU-Kommission zu werten ist – auch die erforderlichen, dringenden Handlungen folgen. Es gibt Studien, die belegen, dass das neue Chemikalienprogramm ohne Tierversuche durchführbar ist, indem man sich einer tierversuchsfreien Prüfstrategie, die stufenweise angesetzt ist, bedient. Es liegt an der Kommission, diese in den Details auszuarbeiten, teilweise noch zu entwickeln und auch durchzusetzen. An den Parlamentariern liegt es nun, in der 1. Lesung, die noch vor dem Sommer erfolgen soll, den ursprünglichen Entwurf der Kommission dahingehend völlig abzuändern.

Nachtrag vom 05.10.2005:
Umweltausschuss für Alternativmethoden
Seit 1991 wird in der Europäischen Union an einer neuen Regelung bei der Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien (kurz REACH genannt) gearbeitet. Nach dem EU-Kommissions-Entwurf sollen dabei nicht nur die neuen Chemikalien erfasst und bewertet werden, sondern auch die sogenannten 30.000 “Alt-” Chemikalien, die vor 1981 mit mehr als einer Jahrestonne auf den Markt gekommen sind, da man – obwohl diese seit Jahrzehnten im Umlauf sind – nichts über deren gefährlichen Eigenschaften für Mensch und Umwelt weiß. Die Umsetzung dieses Entwurfes hätte den grausamen Vergiftungstod von Versuchstieren in einem unvorstellbaren Ausmass – von bis zu 45 Millionen Tiere in den kommenden 15 Jahren – nach sich gezogen. Aber ein einhelliger europaweiter Aufschrei aller Tierschutz-, Tierrechts- und TierversuchsgegnerInnenorganisationen brachte die damit befassten Politiker und Gremien zum Einlenken. In den diversen Arbeitssitzungen wurde immer wieder beteuert, dass der Entwicklung und dem Einsatz von Ersatzmethoden Vorrang gegeben werden muss.
So zuletzt auch am 4. Oktober 2005, an dem der parlamentarische EU-Umweltausschuss in Brüssel zu diesem Thema den Kompromiss-Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft beraten hat.

Änderungsvorschläge wurden von einer breiten Mehrheit der ParlamentarierInnen angenommen:

  • Die Hersteller desselben Stoffes werden verpflichtet, gemeinsam die Registrierung zu beantragen (“Osor”= one substance, one registration/ ein Stoff, eine Registrierung), was Kosten spart und die mehrfache Durchführung von Tierversuchstests verhindert.
  • Die geplante EU-Chemikalienagentur soll sich für die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen einsetzen und Strategien zur Vermeidung von Tierversuchen entwickeln. Ein Teil der Registrierungsgelder soll für die Forschung nach Alternativmethoden eingesetzt werden.
  • Auch die Entschärfung der Informationspflicht, die – wohl zulasten des Umweltschutzes – der chemischen Industrie mit ihren auch mittleren und kleineren Unternehmen entgegenkommt, bewirkt – indirekt – eine immense Einsparung von Tierversuchen:
    So müssen für die produzierenden bzw. importierten Stoffmengen zwischen ein und zehn Jahrestonnen (die 20.000 der insgesamt 30.000 von der Verordnung betroffenen Alt-Chemikalien ausmachen) nur mehr die schon vorhandenen Daten von den Firmen geliefert werden, außer es handelt sich um potentiell gefährliche Stoffe.

Mitte November kommt REACH im Europaparlament zur Ersten Lesung. Da die ParlamentarierInnen ein Mitentscheidungsrecht haben, werden sich Parlament und Rat – bis zur Zweiten Lesung -auf einen Kompromiss einigen müssen. Man rechnet damit, dass sich die Beratungen sicherlich noch über das kommende Jahr 2006 hinziehen werden.

Nachtrag vom 12.12.2005:
Einigung im EU-Ministerrat
Das schlimmste Schreckensszenario konnte abgewendet werden, aber die Chance auf einen Paradigmenwechsel zugunsten völliger tierversuchsfreier Prüfstrategien wurde nicht genützt.

Nachdem sich am 17. November 2005 in erster Lesung das EU-Parlament – mit etlichen Änderungen zugunsten der chemischen Industrie – auf einen Chemikaliengesetzesentwurf (der auf 1.300 Seiten 40 bestehende Vorschriften ersetzen soll) geeinigt hat, ist dieser nun, am 13. Dezember 2005 – jedoch abermals mit wesentlichen Abstrichen für den Umweltschutz – auch vom EU-Ministerrat angenommen worden.
Der formelle Ratsbeschluss erfolgt wahrscheinlich im März 2006. Anschließend kommt es im Parlament zur zweiten Lesung (Parlament und Rat müssen einen gemeinsamen Beschluss schaffen), so dass mit einem endgültigen Abschluss im zweiten Halbjahr zu rechnen ist. Das Gesetz wird – mit einer mehrjährigen Übergangsfrist – aller Voraussicht nach im Jahre 2007 in Kraft treten.

Hinsichtlich der Prüfung von neuen Chemikalien an Tieren und im speziellen für die 30.000 “Alt”-Stoffe, die vor 1981 im Umlauf waren, wurden folgende Kompromisse beschlossen:

  • Unternehmen sind verpflichtet, einzelne Stoffe, die mit Tierversuchen getestet werden, gemeinsam zu registrieren. Vorhandene Tierversuchsdaten sind auszutauschen. Tierversuche dürfen erst nach Vorlage eines Testvorschlags, der von Experten hinsichtlich vorhandener Ersatzmethoden überprüft wird, durchgeführt werden. Auf diese Weise sollen vor allem Doppelversuche verhindert werden.
  • Keine Tierversuche fallen an für die etwa 17.500 “Alt”-Stoffe, die jährlich zwischen einer und 10 Tonnen produziert bzw. importiert werden, da hierfür lediglich die schon vorhanden Daten von den Firmen gemeldet werden müssen, außer es besteht ein Verdacht auf Gefährdung.
  • Für die etwa 7.500 “Alt-“Stoffe von 10 bis 100 Jahrestonnen sind geringere Auflagen vorgesehen (lediglich Test über erbgutschädigende und chronische Wirkung), so dass in dieser Klasse zumindest Tierversuche eingespart werden. Von Tests wird abgesehen, wenn ein Kontakt mit KonsumentInnen ausgeschlossen ist.
  • Kosmetika wurden von der Chemikalienregelung ausgenommen, so dass das bereits beschlossene, bis 2013 schrittweise umzusetzende EU-weite Tierversuchsverbot für Kosmetika aufrecht bleibt.
  • Ein Teil der Registrierungsgelder für Chemikalien soll für die Forschung nach Alternativmethoden zu Tierversuchen eingesetzt werden, wofür die geplante EU-Chemikalienagentur in Finnland zuständig sein wird. Außerdem hat sie die Aufgabe, Strategien zur Vermeidung von Tierversuchen zu entwickeln.

Da nun das neue strenge Registrierungsverfahren “nur” mehr auf etwa 12.500 “Alt”-Stoffe (die in einer Menge von über 10 Jahrestonnen produziert werden) anstatt auf die ursprünglich geplanten 30.000 von den insgesamt etwa 100.000 “Alt-” Stoffe, die vor 1981 im Umlauf waren, anzuwenden ist, bedeutet dies gegenüber den ersten Plänen auch eine geringere Steigerung von Tierversuchen.
Das Schreckenszenario eines Verbrauchs von 45 Millionen Versuchstieren in den kommenden 15 Jahren, das der ursprüngliche Kommissionsentwurf nach sich gezogen hätte, konnte abgewendet werden. ExpertInnen rechnen momentan aber mit 1,5 Millionen zusätzlichen Tierversuchen durch die Umsetzung von REACH. Eine noch immer unvorstellbare Anzahl, hinter der ein unvorstellbares Ausmass an Leiden und ein unsägliches, qualvolles Sterben steht!

Wie so oft konnten wir, auch vereint mit vielen anderen TierversuchsgegnerInnenorganisationen, dank unserer stetiger und massiver Proteste wohl das Allerschlimmste verhindern, aber doch (noch) nicht völlig abwenden. (Zuletzt, am 30.11.2005, hat der Internationale Bund der Tierversuchsgegner dem EU-Ministerrat 7.514 Unterschriften mit der Forderung des Einsatzes von tierversuchsfreien Prüfstrategien übermittelt.) Die Chance auf einen Paradigmenwechsel zugunsten völlig tierversuchsfreier Prüfstrategien, die laut ExpterInnenmeinungen und Studien sofort bis mittelfristig umgesetzt werden könnten, wurde von den entscheidenden Stellen nicht genutzt!
Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, bei den zuständigen EU-Institutionen die Förderung, Entwicklung und den verpflichtenden Einsatz von Ersatzmethoden zum Tierversuch einzumahnen. Zumal auch, weil unter REACH nicht nur die 30.000 “Alt”-Chemikalien fallen, sondern auch alle zukünftigen neuen Chemikalien.
Da die Giftigkeit von Chemikalien mit tierversuchsfreien Verfahren und einer intelligent aufgebauten Prüfstrategie viel zuverlässiger ermittelt werden kann, wie ExpertInnen etwa vom Bundesinstitut für Risikoforschung oder des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle beteuern, ist die Abwendung von den grausamen, veralteten und unverlässlichen Tierexperimenten sowohl aus Tierschutzgründen als auch zum Schutze der Gesundheit des Menschen und der Umwelt unsere ethische Pflicht.

Nachtrag vom 18.09.2006:
REACH geht in die letzte Phase
Mit REACH wird die gesamte Chemikalienregulierung durch die EU neu gestaltet. Die Prüfung von Chemikalien ist mit Millionen von Tierversuchen verbunden. Die schrecklichsten Szenarien konnten mit unseren Protesten und Einwänden abgewendet werden. Im Herbst 2005 haben EU-Parlament und EU-Ministerrat über den Kommissionsentwurf abgestimmt. Das Parlament hat einige wichtige Verbesserungen eingebracht, die teilweise wieder vom Ministerrat herausgenommen wurden.

Am 10.10.2006 wurde REACH im federführenden Umweltausschuss behandelt und es wurden zuvor gestrichene Forderungen (z.B. strengere Regelung beim Inverkehrbringen besonders gefährlicher Stoffe) aus der Ersten Lesung wieder hinein genommen, was auch mit einer Mehrheit (42 Ja-Stimmen von insgesamt 63) angenommen wurde. U.a. forderte der Umweltausschuss auch die Förderung von tierversuchsfreien Testmethoden. Bis zur Zweiten Lesung im Plenum am 14. November 2006, wo es durch die EU-ParlamentarierInnen zur Abstimmung kommen wird, verhandeln nun Rat und Parlament über das Umweltausschussergebnis. Voraussichtlich am 4. Dezember 2006 wird der EU-Ministerrat abstimmen. Im Jahr 2007 soll REACH in Kraft treten.

Bitte appellieren Sie an die EU-Abgeordneten, sich für eine tierversuchsfreie Chemikalien-Verordnung einzusetzen.
Anbei ein Musterbrief und die E-Mail-Adressen der österreichschen EU-Abgeordneten (den Brieftext einfach in die einzeln aufgerufenen E-Mails kopieren):

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
die 1. Lesung im EU-Parlament hatte ja schon erfreulicherweise einige wesentliche Verbesserungen bei REACH gebracht. Dafür danke ich Ihnen. Allerdings wurden diese zum Teil durch den Ministerrat wieder gestrichen. Ich bitte Sie, sich zumindest für eine Wiederherstellung der Position des Parlaments stark zu machen. Fordern Sie bitte bei der 2. Lesung im EU-Parlament insbesondere:

  • einen zwingenden Datenaustausch,
  • eine unabhängige Überprüfung der Testvorschläge der Industrie,
  • eine verstärkte Förderung und den Einsatz von tierversuchsfreien Testmethoden und tierversuchsfreien Teststrategien und besonders wichtig,
  • dass Kosmetika von REACH ausgenommen werden.

Die völlig veraltete Methode des Tierversuchs darf in einer modernen Chemikalienpolitik keinen Platz haben. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Tiere, sondern auch um die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die meisten der in dem Entwurf der EU aufgeführten Tierversuche wurden bereits vor Jahrzehnten entwickelt, aber nie auf ihre Gültigkeit überprüft. Würde man sie heute einer eingehenden Prüfung bezüglich ihrer Zuverlässigkeit und ihrer Relevanz für den Menschen unterziehen, würden sie glatt durchfallen. Eine intelligente, schrittweise Teststrategie mit tierversuchsfreien Methoden sowie die Auswertung bereits vorhandener Daten können dagegen alle nötigen Informationen über die zu testenden Substanzen schnell, zuverlässig und preisgünstig liefern. REACH muss im Interesse von Mensch und Tier ganz ohne Tierversuche durchgeführt werden. Bitte setzen Sie sich dafür ein!
Mit freundlichen Grüßen

maria.berger@europerg.co.at
hboesch@europarl.eu.int
hettl@europarl.eu.int
okaras@europarl.eu.int
jleichtfried@europarl.eu.int
eva.lichtenberger@gruene.at
office@hpmartin.net
a.moelzer@aon.at
hpirker@europarl.eu.int
cprets@europarl.eu.int
rrack@europarl.eu.int
kresetarits@europarl.eu.int
pruebig@europarl.eu.int
kscheele@europarl.eu.int
aschierhuber@europarl.eu.int
rseeber@europarl.eu.int
hannes.swoboda@spoe.at
johannes.voggenhuber@gruene.at

Nachtrag vom 20.12.2006:
REACH wurde verabschiedet
REACH – die Kurzformel steht für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe – , mit der die Chemikalienpolitik der Europäischen Union neu geordnet und reformiert wurde, ist abgeschlossen. Am 13.12.2006 nahm das Europäische Parlament in seiner zweiten Lesung den Anfang Dezember 2006 erzielten Kompromisstext von Europaparlament, Rat und Kommission an. Am 18.12.2006 haben auch die EU-Umweltminister ihre Zustimmung gegeben. Somit tritt die REACH-Verordnung am 1. Juni 2007 in Kraft.

Da mit REACH die sogenannten chemischen “Altstoffe”, von denen 30.000 in Umlauf sind, neu er

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