“Tieranwälte” für die ganze Schweiz

– für einen besseren Schutz der Tiere in der neuen eidgenössischen Straf-prozessordnung

 Die Schweiz soll eine einheitliche Strafprozessordnung erhalten. Ende Feb-ruar dieses Jahres wurde die Vernehmlassung abgeschlossen. Die Stiftung für das Tier im Recht ist massgebend an der Änderung des Sachstatus von Tieren betei-ligt und fordert nun die Schaffung eines “Tieranwalts”: danach sollen alle Kan-tone über die neue bundesweite Strafprozessordnung verpflichtet werden, das Amt eines “Rechtsanwalts für Tierschutz in Strafsachen” einzuführen. Vor zehn Jahren ist der “Tieranwalt” im Kanton Zürich geschaffen worden und hat sich bes-tens bewährt. Die anderen Kantone werden aufgerufen nachzuziehen.

Nachholbedarf beim strafrechtlichen Tierschutzvollzug

Das eidgenössische Tierschutzgesetz aus dem Jahre 1978 stellt Tierquälereien und andere Tierschutzwidrigkeiten unter Strafe. Während ein Teil der Strafver-fahren wegen Tierschutzwidrigkeiten gesetzeskonform und tierschützerisch en-gagiert abgewickelt werden, hapert es bei einem anderen Teil. Nicht selten werden in der Öffentlichkeit Tierschutzmissstände bekannt, die von den Behör-den, auch von den Strafuntersuchungsbehörden, gedeckt werden. Den Mel-dungen von privater Seite oder von Tierschutzorganisationen wird nicht gehörig nach-gegangen und die verzeigte Person nicht bestraft.

Strukturelle Mängel in Strafverfahren wegen Tierschutzwidrigkeiten

Gründe für ein Vollzugsdefizit im Tierschutz sind vielfältig. Zu einem Mangel an fi-nanziellen Mitteln und an Personal gesellen sich unglückliche Verflechtungen, wie sie auch in anderen Vollzugsbereichen festzustellen sind. Auch fällt der Be-kanntheitsgrad des Tierschutzrechts unterschiedlich aus. Im Kern jedoch sind die Tiere verfahrensrechtlich nur ungenügend geschützt, da sie sich im Straf-verfah-ren we-gen Tierschutzwidrigkeiten nicht selber wehren können. Sie sind nicht rechtsfähig und den (rechtlosen) Sachen gleichgestellt. Stossende Ergeb-nisse können insbesondere dann auftreten, wenn sich das Strafverfahren gegen den Tierhalter oder die Tierhalterin selber richtet. Wer eine Strafanzeige ein-reicht, sei es als Zeuge einer Tierschutzwidrigkeit, sei es, gestützt darauf, als Tier-schutzorga-nisation, hat im Strafverfahren grundsätzlich nichts verloren. Man er-hält häufig nicht einmal Kenntnis vom Ausgang des angestrengten Verfahrens.
Ungenügende Untersuchungsführung

Die mangelhafte Rechtsstellung des Tieres schlägt auch bezüglich der Untersu-chungsführung nicht selten negativ zu Buche. Eine Durchsicht zahlreicher Straf-untersuchungen in der Schweiz wegen Tierschutzwidrigkeiten bestätigt den Ein-druck, dass Strafverfahren häufig oberflächlich und gerade in tiermedizinischer und tierschutzrechtli-cher Hinsicht unsachgemäss durchgeführt werden. Wich-tige Zeugen werden nicht oder ver-spätet einvernommen und Gutachter nicht beigezogen. Verfahren werden zu un-recht eingestellt, eine Verurteilung erfolgt gestützt auf die nicht einschlägigen Bestimmungen, oder das Strafmass ist im Vergleich zu an-deren Verurteilungen zu large. Der Strafe kommt so keine ab-schreckende Wir-kung zu, weder für die Gesellschaft, noch für den Straftäter, und Tierschutzwidrigkeiten bleiben nicht selten Kavaliersdelikte.

Der “Tieranwalt” – wozu?

Diesen Mängeln tritt der “Tieranwalt” entgegen: Als ein vom Staat eingesetzter Rechtsvertreter des Tieres im Straf-verfahren – das Verwaltungsverfahren soll hier beiseite gelassen werden – sorgt der Amtsinhaber für die einheitliche Durchset-zung der Tierschutzbestimmungen. Er – oder die “Tieranwältin” – nimmt die Rechte eines Geschädigten im Strafver-fahren wahr, als ob die Per-son selber etwa als Folge einer schweren Körperver-letzung beeinträchtigt wor-den wäre. Die Amtsträgerschaft kann so nicht bloss auf eine Einvernahme von Zeugen be-harren, Expertinnen und Experten vor-schlagen, Akteneinsicht verlan-gen, Fragen an den Angeschuldigten stellen, an Verhandlungen teilnehmen und Einstel-lungsverfügungen und zu milde Urteile anfechten. Sie kann Strafun-tersuchungs-behörden und Gerichte auch beraten, indem sie ähnliche Fälle als Präjudizien zur Verfügung stellt und etwa Erfahrun-gen mit Gutachtern und bei Beweisauf-nahmen austauscht. Der Bekanntheitsgrad der Tierschutzgesetzge-bung bei den Strafuntersuchungs-behörden und Gerichten steigert sich, und krass unterschied-lich ausfallende Urteile können einander angeglichen werden.

Auch wird durch ein solches Amt dem strukturellen Misstand entgegen getreten, dass der verurteilte Tierquäler ein ge-gen ihn lautendes Strafurteil – zu Lasten des Tieres – anfechten kann. Ein ihn frei-sprechendes Urteil kann aber in der Regel bloss von der Strafuntersuchungsbe-hörde, nicht aber von der anzeigenden Per-son oder schon gar nicht von einer Tierschutzorganisation an die Rechtsmit-telinstanz weiter gezogen werden.

Zum “Tieranwalt” im Kanton Zürich

Seit anfangs April 1992 stehen die Rechtsgrundlagen über den “Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen” des Kantons Zürich in Kraft. Der Amtsträger wird auf Vorschlag der Tierschutzorganisationen vom Regierungsrat ernannt und nimmt zugunsten der Tiere “die Rechte eines Geschädigten wahr”. Ihm stehen die auf-gezeigten strafprozessuale Ver-fahrensrechte zu. Zustande kam das kantonal-zürcherische Tierschutzgesetz vom 2. Juni 1991 mit über 80 % Ja-Stimmen aus der Bevölkerung als Gegenvorschlag zu einer Volks-initiative, welche u.a. das Ver-bandsbeschwerde- und -klagerecht für Tierschutzorga-nisationen forderte. Die Initianten nahmen mit dem Gegenvorschlag vorlieb, weil der “Tieranwalt” dem Verbandsklagerecht einer anwaltlich vertretenen Tierschutz-organisation sehr nahe kommt. Mit der neuen Konstruktion aber werden die teils berechtigten An-liegen einer wegen Tier-schutzwidrigkeiten angeschuldigten Person auf Wahrung der Privat-sphäre und Ehren- und Datenschutz besser ge-wahrt. Zum Ausgleich schreibt die kan-tonale Tier-schutzverordnung vor, dass der “Tieranwalt” eine Tier-schutzor-ganisation über den Stand und Ausgang des Ver-fahrens informieren kann, wenn das Strafverfahren auf ihre Anzeige zurückgeht (§ 15).

Die Erfahrungen des “Tieranwaltes”, derzeit Dr. Markus Raess in Zürich und seines damaligen Vorgängers, Dr. Bruno Trinkler, des vormals Ersten Staats-anwalts des Kan-tons, sind positiv: Das Amt geniesst mittlerweile eine hohe Ak-zep-tanz und hat wesentlich zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Kanton Zürich und zum höheren Bekannt-heitsgrad der Tierschutzgesetzgebung beige-tragen.

… und nun für die ganze Schweiz

Die Forderung, den “Tieranwalt” gesamtschweizerisch einzuführen ist nicht ganz neu. Sie findet sich u.a. in zahlreichen Vernehmlassungen zur aktuellen Totalrevi-sion des Tierschutzgeset-zes und in zwei hängigen Volksinitiativen aus ver-schie-denen Tierschutzkreisen wieder. Auch der Bundesrat hat sich bei ver-schiedenen Ge-legenheiten dem Anliegen aufgeschlossen gezeigt, nachdem die ständerät-liche Geschäftsprüfungskommission über den Tier-schutzvollzug ein solches Amt ebenfalls gewünscht hat. Bedauerlicherweise hat der “Tieranwalt” im Entwurf zu einem neuen Tierschutz-gesetz noch keinen Ein-gang gefunden, was angesichts der Komplexität und der Emotionalität der De-batte allerdings nicht weiter er-staunt.

Doch lässt sich das Anliegen einfacher und wirksamer über die Strafprozessord-nung einführen. Der Bekanntheitsgrad des neuen Amtes bei Strafuntersu-chungsbehörden und -gerichten wäre höher, wenn in der Strafprozessordnung aufgeführt und nicht etwa im Tierschutzge-setz. In systematischer Hinsicht könnte der “Tieranwalt” an den Geschädigten bzw. den Privatstraf-kläger angelehnt werden, und die Amtsträgerschaft wäre zu ermächtigen, an Verfahrenshand-lungen während des Vorverfahrens und an Gerichtsverhandlungen im Zusam-menhang mit Ver-stössen gegen die Tierschutzge-setzgebung mitzuwirken. Im Weiteren wären dem Amtsträger oder der Amtsträgerin die strafpozessualen Möglichkeiten einzuräu-men, wie sie sich im kantonal-zürcherischen Strafver-fahren bereits bewährt ha-ben.

Zum Schluss

Als einziges Land auf der Welt schützt die Schweiz die “Würde der Kreatur” auf Verfas-sungsebene. Sie bekennt sich damit zu einem neuartigen und tieferen Ver-ständnis der Mensch-Tier-Beziehung. Dies soll sich auch in modernen Struk-turen zur Durchsetzung des Tierschutzstrafrechts widerspiegeln. So sollen die In-te-ressen der Tiere an einem besseren strafrechtlichen Schutz vor Tierquälerei nun gesamtschwei-zerisch durch eine kantonale Institution geschützt werden, wel-che sich seit zehn Jahren in einem Kanton bestens bewährt hat. Die eidge-nössische Strafprozessordnung eignet sich hierfür hervorragend.

 

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